
„Ich hatte Lust auf Leistung“
Heute vor 30 Jahren gewann Heike Henkel olympisches Gold. Im Interview blickt sie zurück auf ihre grandiose Karriere.
Das komplette Gespräch gibt es unter dem Text als Video.
Heike, 30 Jahre ist es jetzt her, seit Du in Barcelona Hochsprung-Olympiasiegerin wurdest. Wie präsent ist dieser Triumph heute noch für Dich?
Es kommt mir natürlich nicht wie 30 Jahre vor. Ich kann mich noch an den Tag erinnern, an bestimmte Momente.
Welches ist die stärkste Erinnerung?
Bei 1,95 Meter hätte es anders ausgehen können. Da hätte ich schnell rausfliegen können, ich brauchte drei Versuche. Normalerweise sprang ich bei einem guten Wettkampf immer alles im ersten Versuch, und da hatte ich das Erlebnis wie vier Jahre vorher in Seoul, wo ich nicht ins Finale kam. Gleiche Höhe, 1,95 Meter, obwohl ich gut drauf. Für einen kurzen Moment musste ich mich da wieder in den Fokus bringen. Und dann natürlich als ich die 2,02 Meter übersprungen hatte und die anderen es nicht mehr schafften, also als klar war, ich habe jetzt die Goldmedaille gewonnen hatte.
Dieser Sieg war ja der Höhepunkt einer phänomenalen Drei-Jahres-Serie, während der Du alle großen Freiluft- und Hallen-Meisterschaften gewonnen hast. Wie hast Du Deine Dominanz damals erlebt?
Viele Dinge waren mir gar nicht bewusst. 1991 hatte ich 32 Wettkämpfe gemacht und 31 gewonnen. Ganz genau weiß ich die Zahl nicht mehr. Das war mir nicht klar. Aber mein Bestreben war natürlich immer, möglichst dominant zu sein. So war die Erwartung auch bei mir selbst, dass ich in Barcelona unbedingt diese Goldmedaille gewinnen wollte.
War es schwierig, mit dieser Erwartung umzugehen?
Natürlich wusste ich, dass alle anderen sich das auch wünschten und erwarteten – aber es war auch meine eigene Anforderung. Ich war da so klar, dass es für mich nichts anderes gab, als den Sieg zu holen. Ich hatte eine sehr gute Hallensaison, ich hatte damals den Hallen-Weltrekord von 2,07 Meter aufgestellt, mit dem Gedanken bin ich in den Wettkampf gegangen. Ich bin viele Male über zwei Meter gesprungen, das gab mir eine unglaubliche Sicherheit.
Du bist 1985 aus Norddeutschland nach Leverkusen gekommen, um bei Gerd Osenberg zu trainieren, der schon Heide Rosendahl und Ulrike Meyfarth zu Olympiasiegen geführt hat. Hattest Du da schon die Idee, auch so weit zu kommen?
Nein. Wenn dann war es irgendwo im Hinterkopf so ein Gedanke. Ich war ja 1984 zum ersten Mal bei den Spielen dabei und habe live erlebt, wie Ulrike da gewonnen hat. Bis dahin hatte ich aber nur an Teilnahme gedacht. Es entstand dann so ein bisschen der Traum, mal aufs Treppchen zu kommen. Aber an den Olympiasieg habe ich da noch gar nicht gedacht. Aber mir war klar, um voranzukommen, brauchte ich einen großen Verein. Jeder wollte damals zu Bayer Leverkusen. Umso besser, dass ich Gerd Osenberg kennenlernte. Mit den Erfahrungen, die er hatte, war er optimal für mich. Auch vom Wesen her, wir waren auf einer Wellenlänge. Für mich gab es da keine Alternative.
Wie war der Wechsel aus dem Norden ins Rheinland?
Es gibt ja tatsächlich auch Karnevalsvereine in Kiel. Aber es war schon ein kleiner Unterschied, von der Mentalität her ist es schon etwas anders im Rheinland. Ungefähr zwei Jahre hat es gedauert, das war schon eine Umstellung. Aber es war für mich vorher klar, dass das kommen wird. Ich war darauf eingestellt. Ich bin immer noch kein großer Karnevalist, aber ich habe mich sehr gut eingelebt hier.
Wie schwierig war der Weg auf den Olymp? Er liest sich bei Dir ja sehr geradlinig: 1989 beim Sportfest in Köln erster Zwei-Meter-Sprung, 1990 bei der Hallen-EM erster internationaler Titel-Gewinn – und dann bis zum Olympiasieg ein Triumph nach dem anderen.
Erstmal fing es nicht so easy an mit Seoul. Ich hatte da andere Vorstellung bei den Spielen 1988, aber das lief ja gar nicht. Ich war nicht im Finale. Danach fing es erst richtig an, dass ich einen klaren Weg gesucht habe, wie ich ans Ziel kommen kann. Ich habe gespürt, da ist mehr, ich kann mehr. Das wollte ich erreichen. Dann hatte ich meinen ersten Mann kennengelernt (Rainer Henkel, Anm. d. Red.), er hatte solche Erfolge schon gefeiert, er war Doppelweltmeister im Schwimmen, da dachte ich mir: Wenn der das kann, kann ich das schon lange. Wenn man jemanden so gut kennt, ist das ein Ansporn, dann traut man sich das auch eher zu. Das spornt einen an, gibt Zuversicht. Deshalb halte ich es für sehr wichtig, zu schauen, wie andere das machen.
Nach der Geburt Deiner Söhne 1994 und 1997 bist Du jedes Mal zurückgekommen, erst 2000 hast Du nach Platz acht bei der Hallen-EM Deine Karriere beendet. Mutter und Spitzensportlerin zu sein, war damals noch ungewöhnlicher als heute, oder?
Es gab da keine Erfahrungswerte. Nach meinem ersten Sohn hatte ich schon irgendwie noch das Bedürfnis, weiterzumachen, auch auf dem Niveau weiterzumachen. Trotzdem verschieben sich die Prioritäten. Man möchte sich auch mehr der Familie widmen. Damit muss man erstmal umgehen. Das war schwierig. Zumal ich auch schon viel erreicht hatte. Da fehlte das sportliche Ziel. Ich war sehr beschäftigt mit meinem Muttersein. Aber das sich Lösen vom Hochleistungssport ist auch nicht so einfach, das geht nicht von heute auf morgen. Nach meinem zweiten Sohn bin ich zurück, um wieder fit zu werden. Und da die Konkurrenz nicht so stark war, dachte ich: Okay, dann starte ich auch nochmal.
Es ist schwieriger geworden, zum Sportstar aufzusteigen, weil der Fußball noch dominanter geworden ist. Andererseits ist es mit Hilfe der Sozialen Medien auch möglich, ohne herausragende Sporterfolge eine Art Star-Status zu erlangen. Verrückte Welt?
So entwickelt sich die Welt. Viele mögen es ja auch nicht, sich in diesem Leistungsdenken zu bewegen. Da werden schon Bundesjugendspiele abgelehnt, weil es um Vergleiche geht, um Leistung. Ich finde das schade. Ich hatte wirklich Lust auf Leistung, das hat mir Spaß gemacht. Ich glaube, dass es davon noch viele gibt, da wird oft nicht anerkannt. Aber das war eigentlich schon immer so, es gab Sportarten, Rudern oder so, die haben Goldmedaillen geholt und da hat sich eigentlich kaum jemand für interessiert. Es war schon immer schwierig, in Deutschland überhaupt ein Sportstar zu werden. Heute ist mein ein bisschen verpflichtet, wenn man präsent sein will, in den Sozialen Medien aktiv zu sein. Leichter ist es dadurch nicht geworden, das kostet auch unglaublich viel Zeit. Das hat so seine Vor- und Nachteile. Wo früher mehr in Printmedien berichtet wurde, läuft heute viel über das Internet. Da hat man natürlich auch tolle Möglichkeiten. Es kann aber auch schnell in die Richtung gehen, dass man sich zu viel damit beschäftigt und den Sport zu wenig im Fokus hat. Ich glaube, die Sportlerinnen und Sportler sind gerade noch dabei, das zu lernen.
Worin lag für Dich der Reiz des Leistungssports? Und würdest Du diesen Weg im nächsten Leben wieder wählen?
Für mich war der Reiz, zu reisen. Der erste Impuls, als ich für die Schulmannschaft starten durfte, war eine Reise nach Berlin zum Finale. Da wollte ich hin. Unterwegs zu sein, hat mir immer sehr viel Freude gemacht. Und dann natürlich, Menschen aus aller Herren Länder näher zu kommen. Da ist man in einer Gemeinschaft, in der man sich wohl fühlt.
Foto: Nils Althoff